Indien: Was ist ein Lakh, was ist ein Crore? - WELT (2024)

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Indien ist nicht unbedingt das einfachste Land auf Erden. Es zählt mehr als 100 Volksgruppen und Sprachen, sämtliche Weltreligionen sind vertreten, der Verkehr ist chaotisch – eine komplizierte Gemengelage also, erst recht für Gäste von außerhalb. „Incredible India“, so lautet der weltberühmte, inzwischen in die Jahre gekommene Slogan der indischen Tourismusagentur, was herrlich doppeldeutig und unfreiwillig komisch ist.

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Indien mag in seiner Vielfalt und Eigenart ein „unglaubliches“ Land sein, oft ist es vor allem ein unverständliches. „Incomprehensible India“ wäre also eigentlich passender, dürfte sich als Werbespruch aber nicht durchsetzen.

Nicht nur die Umgangssprachen – etwa Hindi und Panjabi im Norden, Bengalisch im Nordosten, Gujarati und Marathi im Westen – sind für Ausländer (und für viele Inder) verwirrend. Auch die Zahlen. Denn mit Millionen und Milliarden kommt man zwischen Kaschmir und Kerala nicht weit.

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Selbst in den englischsprachigen Tageszeitungen und Nachrichtensendungen im Fernsehen sind „millions“ und die angelsächsischen „billions“, also die deutschen Milliarden, eher rare Begriffe. Stattdessen ist von „lakh“ (sprich „Lack“) und „crore“ („Kror“) die Rede.

So würde in Indien beispielsweise niemand sagen oder denken, dass er „eine Million Rupien“ im Jahr verdient, was aktuell gut 13.000 Euro entspricht und in einem Land, in dem viele im Monat nur 100 oder 200 Euro nach Hause bringen, ein sehr gutes Gehalt ist. Er würde schlicht auf Unverständnis stoßen und sein Gehalt stattdessen mit „zehn Lakh“ angeben.

Lektüre der Geschäftsberichte wird zur Denksportaufgabe

Im Kern ist die Sache einfach: Ein Lakh sind 100.000, ein Crore zehn Millionen. Ein Crore entspricht also 100 Lakh, eine Million zehn Lakh, eine Milliarde 100 Crore. Die einst in Indien erfundene Null kann, wie man an dieser Stelle schön sieht, bestehende Probleme im Nullkommanichts verzehnfachen.

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Rechnerisch ist Indien für Deutsche, die in Vielfachen von Tausend zu denken gelernt haben (Million, Milliarde, Billion), also eine ziemliche Fummelei und gewöhnungsbedürftig. Um zum Beispiel zehn Crore Rupien in einen griffigen Eurobetrag umzurechnen, nehme man zehn mal zehn Millionen und teile durch 74,3 – macht 1,35 Millionen Euro.

Geschäftsreisende, denen man ja eine gewisse Zahlenaffinität unterstellen darf, haben es übrigens auch nicht so leicht. Sie müssen mit zwölf und mehr Stellen hantieren, was normalsterbliche Taschenrechner überfordert. So wird die Lektüre der Geschäftsberichte börsennotierter indischer Unternehmen zur kniffligen Denksportaufgabe.

Das wertvollste von allen, Tata Consultancy Services (TCS) mit Sitz in der indischen Wirtschaftshauptstadt Mumbai, ist zurzeit laut Bombay Stock Exchange beispielsweise etwa 50 Lakh Crore Rupien wert, in Euro also 50 mal 100.000 mal zehn Millionen geteilt durch den Wechselkurs von 74,3. Das ergibt rund 69 Milliarden Euro, was annähernd dem Börsenwert der Deutschen Telekom entspricht.

Wo sich Bollywood dem Westen anpasst

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Auch Bollywood, Indiens Filmindustrie mit Studios vor allem in Mumbai, trägt nach allen Regeln der Kunst zur mathematischen Verwirrung des Westens bei. Man denke an den Kinokassenknüller „Slumdog Millionär“, der 2009 bei den Academy Awards in Los Angeles acht Oscars abräumte und Indiens Nationalstolz anfachte, völlig zu Recht natürlich.

In dem Film macht Jamal, ein junger Mann aus einem Slum in Mumbai, beim indischen Pendant von Günther Jauchs „Wer wird Millionär?“ mit. Wundersamerweise kennt der Bursche aus ärmsten Verhältnissen die Antworten auf alle Fragen, selbst auf die schrägsten. Er streicht den Hauptgewinn ein.

Pikant nur, dass es überhaupt nicht, wie der Filmtitel impliziert, um ein Preisgeld von einer Million ging. Zu gewinnen gab es in der Show stattdessen zwei Crore Rupien, also 20 Millionen. Das entsprach damals knapp 300.000 Euro und kam für viele Inder der Idee von unvorstellbar viel Geld ziemlich nahe, aber mit der versprochenen runden Million hatte die Zahl nichts zu tun.

Andererseits muss man zugeben, dass ein Film namens „Der Slumtyp mit den zwei Crore Rupien“ die Jury der Filmakademie mutmaßlich nicht überzeugt und wahrscheinlich keinen einzigen Oscar eingebracht hätte. Weshalb sich Hollywoods westliche Million ausnahmsweise gegen das zehnmal größere indische Crore aus Bollywood durchgesetzt hat.

Lakh und Crore sind weit verbreitet

Mancher mag nun einwenden, dass all dies unnötig kompliziert sei und ihn Lakh Rupien in Indien so viel angingen wie der sprichwörtliche Sack Reis, der in China umfällt, nämlich nichts. Doch das wäre ein Irrtum.

Lakh und Crore sind für einen großen Teil der Menschheit alltägliche Begleiter. Die Zahlen werden überall dort verwendet, wo sich einst das koloniale Britisch-Indien erstreckte – also nicht nur in der heutigen Republik Indien, sondern auch in Bangladesch und Pakistan, in Nepal, Sri Lanka und Birma.

Hier leben zusammengenommen immerhin 1,76 Milliarden Menschen, gut 24 Prozent der Weltbevölkerung. Ein Viertel der Menschheit tickt beim Rechnen also anders als wir, und das schon seit Jahrhunderten, man sollte dessen Usancen deshalb nicht einfach ignorieren.

Und es wird noch komplizierter ...

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Doch die Angelegenheit ist eigentlich noch viel komplizierter, denn auch die Schreibweise subkontinentaler Zahlen erfordert Übung und eine Gebrauchsanweisung. Erstens kann man Ziffern in Indien „europäisch“ oder „indisch“ schreiben, was im Kern zum Glück beides „arabisch“ ist und sich einigermaßen ähnelt, also noch nicht komplett verwirrt.

Zweitens aber fehlen in Indien bei großen Zahlen die für das europäisch geschulte Auge hilfreichen Trennungspunkte. Drittens werden die an deren Stelle benutzten Trennkommas nach altvedischer Methode arhythmisch in vielstellige Zahlen eingestreut. In Indien leben zurzeit also keineswegs 1.286.000.000 Menschen, wie bei uns einige behaupten, sondern 1,28,60,00,000.

Und das Land, das in Kürze China als bevölkerungsreichstes der Erde ablösen wird, wächst Jahr für Jahr um rund 1,50,00,000 Seelen, also um 1,5 Crore beziehungsweise 150 Lakh – oder auch, wie man in Anlehnung an die griechisch-abendländische Rechenschule sagen könnte, um 1.500 Myriaden.

Incomprehensible India? Tja. Es gibt bekanntlich drei Arten von Mathematikern: Die einen können zählen, die anderen nicht. Wir wünschen gute Reise und Good Lakh!

Indien: Was ist ein Lakh, was ist ein Crore? - WELT (2024)
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Author: Arline Emard IV

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